Aktuelle Sonderausstellung:
US-Auswanderung aus Damme im 19. Jahrhundert

Das Sozialgefüge steht am Anfang der Sonderausstellung, denn die Heuerlingsfamilien, alleinstehende Knechte und Mägde waren es, die massenweise nach Amerika auswanderten. Wie es zu einem 70prozentigen Anteil dieser unterprivilegierten Bevölkerungsgruppe im Oldenburger Münsterland kam, wie ihre Existenzmöglichkeiten und Perspektiven in dieser vor Ort oft ausweglosen Lage beschränkt wurden, ist in Dokumenten und Bildern auch gegenständlich dargestellt.

Ausgehend von den erdrückenden Heuerverträgen und der totalen Abhängigkeit von den Besitzbauern und deren ausschließliche Bevorzugung durch die Obrigkeit, ist ein weiterer Ausstellungsbereich dem unerlässlichen Nebenerwerb der Heuerleute gewidmet, der Leinenweberei, dem Hollandgang, der Wolle-Produktion und -verarbeitung und verschiedenen handwerklichen Tätigkeiten. Sie waren für die verarmten Heuerleute zur Existenzsicherung unentbehrlich.

Dass Auswanderung mit erheblichen Vorkehrungen verbunden war und ein großes Risiko bedeutete, ist unter heutigen Verhältnissen kaum vorstellbar: Das Problem der Finanzierung sowohl der Überfahrt als auch des Startkapitals für Landkauf und den Aufbau einer Farm, die Aufgabe der bekannten Heimat zugunsten einer unbekannten Existenz, die behördlichen Auflagen, die Passagen-Organisation, die Unsicherheit der Überfahrt mit Segelschiffen unter extrem beengten und ärmlichen Verhältnissen machen klar, unter welch sozialem Druck die Auswanderer standen. In der Sonderausstellung ist als Kernstück das Zwischendeck eines Segelschiffs nachgebaut, um rund um eine Auswanderer-Familie die Belastung durch diese Überfahrt-Bedingungen anschaulich zu machen.

So schließt sich alles um die Niederlassung in den USA an. Der Schwerpunkt liegt dabei – wie auch die Konzentration von Südoldenburgern hier – auf dem Ort Minster im Bundesstaat Ohio. Der Pionier Franz-Josef Stallo und sein kurzes, aber nachhaltiges Wirken sind dabei hervorgehoben. Das charakteristische Siedlungsmuster der Dammer Einwanderer ist an einer Katasterkarte des Gebietes südlich von Minster (ursprünglich um „Berlin“) um Fort Loramie mit einer Vielzahl heimischer Namen auf einer folgenden Tafel nachvollziehbar.

Die katholische Kirchengemeinde St. Augustine sowie ein Grabstein-Modell Franz-Josef Stallos nebst Fotos von vieren seiner erwachsenen Kinder setzen die Darstellung des ursprünglich als Stallostown gegründeten Ortes Minster fort. Hier zeigt sich in vielfacher Hinsicht, wie sehr traditionelle Strukturen aus dem Dammer Raum auch in die neue Heimat übertragen oder als Muster des gemeinschaftlichen Lebens übernommen wurden.

Besonders bemerkenswerte Lebenswege zweier Dammer Auswanderer stehen sodann im Mittelpunkt: Einmal derjenige des vielseitigen Johann Bernard Stallo, den man als Lehrer, Jurist, Schriftsteller, Politiker, Naturwissenschaftler, Philosoph, Präsidentenberater und schließlich US-Botschafter in den USA kannte, zum andern derjenige der Sängerin, Artistin, Dompteuse, Zirkusdirektorin, Geschäftsfrau Agnes Lake Hickok (s. Abb.), die als Agnes Pohlschneider aus Borringhausen bereits 7jährig mit Familie emigrierte. Ihre exotische Karriere ist sicherlich außergewöhnlich. Beide zeigen jedoch, dass sie aus eigenem Antrieb die Chancen, die sich ihnen im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ boten, nutzten.

1837 gründeten zwei Einwanderer aus dem Amt Damme, Heinrich Ronnebaum und Heinrich Plaspohl, einen neuen Ort im Bundesstaat Indiana und nannten ihn Oldenburg, denn viele Neusiedler stammten aus dem südlichen Oldenburg. Eine Anzeige aus der deutschsprachigen Zeitschrift „Der Wahrheitsfreund“ vom Juli 1837 wirbt für den Kauf von Grundstücken in der neuen Siedlung der (Süd-)Oldenburger. Die zugehörige Tafel in der Sonderausstellung widmet sich den Spuren dieser frühen Auswanderer aus dem heimischen Raum.

Diejenige Großstadt in den USA mit dem höchsten Anteil an deutschstämmigen Bewohnern ist bis heute Cincinnati im US-Bundesstaat Ohio. Ihr rapides Wachstum im 19. Jahrhundert hatte sie den gründungswilligen Einwanderern aus dem gesamten Deutschen Reich zu verdanken. 1910 waren 60% der Einwohner deutscher Herkunft. Als erster Anziehungspunkt für die Immigranten aus Damme galt dieses boomende Cincinnati, wo sich viele zunächst niederließen, um Geld für den Landkauf zu verdienen oder in anderen Wirtschaftszweigen ganz neu anzufangen.